Presseauswahl

 

KOREALITY - (K)eine

Geisterbeschwörung

 

Eine Produktion von bodytalk und SIDance – Seoul International Dance Festival in Koproduktion mit

Theater im Pumpenhaus Münster.

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MDR KULTUR, 18.3.23 ►►►

Scharfmacher und Traumtänzer

 

Im Theater im Pumpenhaus in Münster hatte „Koreality – (keine) Geisterbeschwörung“ von Bodytalk Premiere

von Melanie Suchy

 

Den Tanztheaterabend mit dem Titel „Koreality“ betrete ich erst zu dem Zeitpunkt, der bei „ality“ läge. Die Deutsche Bahn macht solche Experimente möglich, nein, notwendig. Sie konstruiert ungeplante Realitäten mit einer Mischung aus System und Zufall. Da steckt man (nicht) drin.

Der Kalauer sei erlaubt, denn bei Kreationen des Teams von Bodytalk, bestehend aus der Choreographin Yoshiko Waki und dem Musiker Rolf Baumgart, gehören Wortspiele  zur Ausstattung. Hier: Koreation. Die ist in vollem Gange. Acht Tänzerinnen und Tänzer mit eiligen Armen und Schritten formen einen Kreis, ein Viereck, eine Linie, eine Art musterhafte Choreographie. Aber mit Messern in Händen. Die langen Klingen blitzen, der von Anna Kang am Bühnenrand aufgedrehte Techno wummert und lässt die Sitze vibrieren. Mancher Tänzer beißt fröhlich ins Metall. Einer Tänzerin heben die Kollegen die Haarsträhnen mit den Messerspitzen an, dann ihre Arme. Sie lächelt, posiert. Als bekäme sie Flügel durch Gefahr. Im Modus Show.

 

Ein Tänzer spielt das noch heftiger aus. Das Messer klemmt zwischen seinen Zehen. Die Spitze ist immerzu gegen ihn gerichtet. Am Boden oder im Stehen, es haut gegen ihn, er fällt, steht auf, humpelt, starrt wie fasziniert auf die Waffe. Es könnte ein Suizidgedanke sein, eine unselige Besessenheit. Oder ist es einfach eine „challenge“: was geht alles mit dem scharfen Ding am Fuß?

 

Die „Korealität“ in dem Stück ist das Überspielen, das ständige Zurschaustellen, das Überlaute, das menschliche Kleinheit oder Eigentümlichkeiten nicht nur verdeckt, sondern vernichtet. Kurz steht die Tänzerschar mal mit leeren Händen da, zeigt sie, dann beginnt wieder so ein Leistungstanz im Wahnwitztempo, runter, hoch, eine Pose einnehmen, schnell die nächste. Bein in die Luft, Arme geschlängelt. Als scrollte jemand durch eine Fotosammlung auf dem Handy: husch-husch, wisch, wisch. Die Tänzer machen das brillant.

 

Schneidig

 

Auch das wiederbelebende Drücken mit Händen auf einen Brustkorb wird zur Spaßnummer, das Händezittern, Aufkniefallen, Geißeln zum Drama mit Heulgesicht. Was wie Fäusteschütteln als Protest bei Demonstrationen aussieht, ist gleichzeitig Tanzjubel bei einem Konzert und beim Konzertgeben. Der Doppelsinn schwindet erst, als die Tänzerinnen und Tänzer sich betont unschön verformen, die Haut rubbeln, den Unterarm rotieren, sich werfen, verlieren, abdrehen, scheinbar die Kontrolle abgeben. Diese Hölle glüht rot.

 

Ob das Resultate sein könnten von tanzwütiger Begeisterung, Drogen, Erschöpfung, Verzweiflung oder einer Art Trance, bleibt offen. Die Duisburg-ähnliche tödliche Panik im Itaewon-Viertel von Seoul zu Halloween ist nicht lange her, auch nicht das Kentern der koreanischen Fähre mit dutzenden Schulkindern. Das kommt der Zuschauerin hier in den Sinn.

 

Das Stück taucht ab danach. Anna Kang macht dickes Rauschen, eine Tiefsee, einen Traum. Die dunkle Bühne bevölkern Lichter: grüne Bögen, die Fische, Vögel, Augen bilden, rotierende Farbförmchen, geschleuderte Blinkfäden. Die juxenden Geisterlein sammeln sich an einer sitzenden Frau. Der Zauberin? Oder Schamanin? Im Hightech-Land Korea ist die Kultur der Schamanen und Götterbeschwörungen noch sehr lebendig.

 

 

Entgeistern

 

Nach Durchtauchen der Nacht feiert im Hellen die Tanztradition fröhliche Urständ:  Stoffbahnen, weiß, rot, grün, bauschen, Gesang, Klavier, eine Janggu-Doppeltrommel, Solo-Tanz einer Frau in Tracht mit Pluster-Rock, in der Hand einen Fächer. Wenden, Drehen, Knie beugen, Rücken biegen, Lächeln. Eine Parade mit Masken an Gesichtern, ein fast nackter Mann, der mit Glitzerkonfetti beworfen wird und gollumhaft giert nach dem Ruhm, der ihm auf Haut und Zunge klebt.

 

Ist das Korea? Südkorea? Beide Koreas, deshalb „Ko-„? Ist das da so, sind die so?

 

Tumbes Verallgemeinern und Betonen von Klischees, die man von Weitem über Leute und Leben in den Koreas im Kopf haben könnte, gefüttert aus Nachrichten, Berichten, Popmusik- und Filmkonsum, wäre schlecht auf der Bühne. Die Bodytalks haben die nahe Klippe im Blick, nehmen die Gefahr in Kauf. Aber sie verzerren, veralbern, vermengen, verfälschen das, was sie in Recherchen am Ort und sonstwo aufgelesen oder auch von den Tänzern erfahren haben mögen. Mit Mehrdeutigkeiten und dem nervös verspielten Duktus werfen sie den Ball zurück ins Publikum. Oder das Messer. Soll Kunst wehtun? Wem? Auf der Schneide tanzen? Es ist Show, als Tanztheater verkleidet. Oder umgekehrt. Oder nackt. Toll und etwas ziellos.

 

P.S.

 

Im Nachgang per Videomitschnitt den verpassten Teil des Abends nachgeholt. Eine muntere Parade mit Gröhlgesang an Karre und Besen. Anna Kang stellt sich und einige Tänzer namentlich vor und deren Wettbewerbspreise. Das erste Korea-Klischee „fähige Opernsänger“ triumphiert mit einer singenden Tänzerin. Nur singt sie keine Oper, eher so Nina Hagen. Es folgt K-Pop, als solcher angekündigt, mit Breakdance –und Akrobatikeinlagen. Bis ihn Messer garnieren.

 

Weit entfernt von Dokumentartanz oder –Theater behauptet die Inszenierung denn auch keine Wahrheit, nicht mal eine doppelte. Sie ist Show.

 

 

Von Melanie Suchy|11. März, 2023

 

Wer sieht mehr?

 

Die Tanz-Company Bodytalk aus Münster eröffnete in Seoul das Tanzfestival. Heraus kam ein transkulturelles Experiment um Fremd- und Selbstbilder.

 

 

Messer, immer wieder sind da diese Messer. Mal schneiden sich die Performerinnen damit durchs Gesicht, dann schlägt eine Tänzerin damit auf wie ein Pfau und wird von Messern umstellt, und schließlich tanzt ein Tänzer ein bedrohlich wirkendes Solo mit einem Messer am Fuß.

 

Starke, mitunter drastische Bilder sind das, wie man sie von der Münsteraner Tanztheater-Company Bodytalk kennen kann. Bodytalk, das sind Yoshiko Waki, die bei Johann Kresnik, dem Tanzrevoluzzer, getanzt und gelernt hat, und der Musiker und Produzent Rolf Baumgart.

 

Zum aktuellen International Dance Festival in Seoul hat der künstlerische Leiter Lee Jong Ho sie eingeladen, das Eröffnungsstück zu bestreiten. Im Januar reisten Waki und Baumgart also von Deutschland aus nach Korea, um dort acht Per­for­me­r*in­nen und eine Musikerin zu casten. Das Ergebnis ist ein transkulturelles Experiment: „Koreality – (K)eine Geisterbeschwörung“ heißt es. Die Premiere fand im März in Deutschland statt, aber die Feuerprobe war natürlich jetzt, vor dem Publikum der südkoreanischen Hauptstadt.

 

Die Messer spielen dabei eine wesentliche Rolle. Dazu sollte man wissen, dass auf koreanischen Bühnen keine Messer benutzt werden, im Fernsehen wurden sie sogar verpixelt, doch hier sollen sie nun eine exponierte Rolle spielen. Einige der Per­for­me­r*in­nen wollten die Choreografin bei den Proben davon abbringen, sie sprachen von vermeintlichen Traumata, doch die Messer blieben drin.

 

Ebenso drin: ein tanzender Glitzer-Buddha, bunt-leuchtender Unterwasserkitsch, eine Sängerin, die als Schlachtschwein von der Bühne geführt wird, und natürlich Reminiszenzen an K-Pop und K-Folklore, alles gleichermaßen auf den Effekt hin inszeniert. Das ergibt in der Summe einen äußerst energetischen Abend, ein Feuerwerk der Körper, die Raum und Publikum für sich einnehmen können.

 

Berüchtigte Leistungsgesellschaft

 

Für die erwartbar rasante K-Pop-Nummer hat sich die musikalische Leiterin Kang An-na „Bang Bang Bang“ herausgesucht, einen Song von 2008. Die Tän­ze­r*in­nen singen live in poppiger, aber zugleich halsbrecherischer Choreografie, die symbolische Bezüge zu den Auswüchsen der berüchtigten südkoreanischen Leistungsgesellschaft liefert.

 

Das wird gleich zu Beginn klar, wenn Musikerin Kang feststellt: „Ich komme aus einer sehr wettbewerbsorientierten Familie, und meine Schwester hat immer mehr erreicht.“ Bloß um dann die erreichten Leistungen der Tän­ze­r*in­nen herauszustellen, die das sehr gerne mit sich machen lassen, inklusive der Verdienstmedaille aus dem Wehrdienst.

 

An anderen Stellen verweisen die Per­for­me­r*in­nen auf die folkloristischen Traditionen des Landes, wenn alle auf einem zweispannigen Wagen, wie er heute noch von Papiersammlern verwendet wird, zum gemeinsamen Gesang eines Volksliedes einziehen oder später Pyo Hye In auf einer Janggu spielt, einer doppelseitigen Trommel.

 

„Es geht vor allem um Freundschaft“

 

Später wird sie, zwischen großen Stoffbahnen tauchend, einen malerischen Volkstanz präsentieren. Aber sie springt auch zusammen mit Shin Hye So als halbnackte Background-Tänzerin hinzu, wenn Kang Da Som einen koreanischen Pop-Song im Stil eines James-Bond-Opening performt.

 

Die ersten Vorstellungen in Deutschland wurden freundlich aufgenommen, auch wenn sich die vielfältigen kulturellen Bezüge nur den wenigsten erschlossen haben dürften. Aber Kulturaustausch ist ja erst mal gut, und zur Vorstellung in Leipzig gab es im Anschluss sogar eine Karaoke-Party – nicht nur, aber auch mit koreanischen Pop.

 

„Es geht vor allem um Freundschaft“, erzählt Yoshiko Wako über die Intention des Stücks. Sie selbst ist gebürtige Japanerin, Japan und Korea verbindet nicht gerade eine freundschaftliche gemeinsame Geschichte. Auch Wakis Großvater gehörte einst zum zivilen Teil der japanischen Besatzungsmacht, die von 1910 bis 1945 die Koreanische Halbinsel erst als Protektorat, dann als Kolonie besetzt hatte und dabei auch nicht wenige Kulturstätten wie den königlichen Palast in Seoul zerstörte.

 

Die so genannten Trostfrauen

 

Die Geschichte zwischen den beiden Nationen ist nur mäßig aufgearbeitet, und immer wieder kochen Debatten über die so genannten Trostfrauen, die von den Japanern während des Zweiten Weltkrieges verschleppten Zwangsprostituierten, hoch oder entzünden sich daran, dass ein japanischer Premier mal wieder einen Schrein besucht, in dem auch Kriegsverbrecher geehrt werden. Damit will Waki natürlich nichts zu tun haben. Sie versteht sich trotz ihres japanischen Passes als deutsche Künstlerin. In Korea sehen das aber nicht alle so.

 

Bei den Endproben in Seoul, wo sie in der Mary Hall der katholischen Sogang University auftreten, werden nun auf einmal die Messer wieder zum Problem. Gerade habe es wohl ein Messerattentat gegeben, heißt es, da solle man aus Rücksicht auf so etwas verzichten. Eher ein Raunen denn eine Ansage, aber Verunsicherung macht sich breit.

 

Doch Festivalleiter Lee blockt alles mit einem Lächeln ab, auch wenn man ihm anmerkt, dass auch er so einige Anwürfe wegen dieser Produktion erleben musste. Der Auftritt kann wie geplant stattfinden, lediglich die beiden Tänzerinnen sollen ihre ohnehin nicht sichtbaren Blößen mit Blumen abdecken, falls doch eine Hand wegrutscht und es zu einem Blitzer kommen sollte.

 

Ist das Publikum bei der ersten Vorstellung noch eher ruhig, so wird der zweite Abend in Seoul für die Tän­ze­r*in­nen ein voller Erfolg. Das Publikum geht voll mit, alle sind für ko­reanische Verhältnisse euphorisch.

 

Eine tolle Energie

 

Das gilt allerdings nicht so sehr für das Fachpublikum. „Das war schon ein sehr touristischer Blick, auch wenn der Abend eine tolle Energie hatte“, befindet Kyu Choi, der künstlerische Leiter der Seoul Performing Arts Festival.

 

Einer Journalistin fehlt eine deutlichere Auseinandersetzung zum ständig treibenden Tempo der Arbeitsgesellschaft, zugleich lobt sie aber eine blinkende Unterwasserszene, die in Deutschland nur als manieristische Idee erlebt wurde, weil hier eine Art Sage ästhetisch interessant verhandelt werde.

 

Immer wieder werden von den Be­su­che­r*in­nen die Messer als stärkste Eindrücke genannt, auch hier sehen die koreanischen Augen mehr als die deutschen: Sie entschlüsseln die Messer im Gesicht als Kommentar zu den populären Schönheitsoperationen und stellen das Kranzschlagen in Verbindung mit einem traditio­nellen Fächertanz. Die Bewegung folgt dem Aufgehen einer Blüte, ein klassisches Motiv der koreanischen Folklore.

 

So ist dieses transkulturelle Experiment vielleicht stärker geglückt, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Doch es bräuchte wohl ein gemischtes deutsch-koreanisches Publikum, um diese Erfahrung auch zur Wirkung kommen zu lassen.

 

 

17. 9. 2023, 09:00 Uhr

 

Torben Ibs

 

Schreibt meist über Theater und andere kulturelle Themen aus Leipzig und der weiteren Umgebung.